Saarbrücken, 15. November 2013: Zahlreiche Gästen aus Medien, Politik, Hochschule und Gesellschaft kamen am 13. November 2013 auf Einladung des Saarländischen Rundfunks (SR) und der Landesmedienanstalt Saarland (LMS) zur Veranstaltung „Wer herrscht im Neuland? Ein Fachdialog über Netzpolitik, Medienmacht und gesellschaftliche Kontrolle“.
LMS-Direktor Dr. Gerd Bauer erläuterte in seiner Begrüßung die Motivation für die Veranstaltung. Angesichts einer konvergenten Medienentwicklung, neuer politischer und ökonomischer Machtstrukturen in der Medienwelt, der Bedeutung der Medien in Beruf und Alltag, der Entwicklung der Bürger von reinen Rezipienten zu Medienakteuren reichten nicht nur die Aufgaben einer Medienanstalt viel weiter als früher. Auch die „Interessen der Allgemeinheit“, die diese zu wahren hätte, seien in dieser vernetzten Medienwelt tiefer und weitreichender betroffen als dies in der Vergangenheit der Fall war. „Bei einer anstehenden Novellierung des Saarländischen Mediengesetzes ebenso wie in den Staatsverträgen wird deshalb darauf zu achten sein, die Aufgaben von plural verfassten und unabhängigen Medienanstalten auch dahingehend zu formulieren, dass sie zum Instrument der kritischen gesellschaftlichen Begleitung und Kontrolle der Medienentwicklungen taugen!“ Bezüglich der ökonomischen Nutzung riesiger Datenmengen (Big Data) und der Auswertung durch Dritte sei zu fragen, ob die Ausbeutung dieses Rohstoffs nicht einer Lizenz bedürfe und wer diese vergeben und kontrollieren solle. Zu hinterfragen seien auch neue Formen der Medienzensur, die bereits durch große internationale Akteure ausgeübt würden und keinerlei gesellschaftlicher Kontrolle unterlägen.
Prof. Thomas Kleist, Intendant des Saarländischen Rundfunks, knüpfte in seiner Keynote an diese Fragen an: „Das Neuland ist grenzenlos. Der normativen Kraft der Technik ist nur mit internationaler Zusammenarbeit zu begegnen.“ Regulierungsbedarf bestehe insbesondere in den Bereichen informationelle Selbstbestimmung, Schutz des geistigen Eigentums, Jugendschutz, Netzneutralität und diskriminierungsfreier Zugang. Auf diesen Bedarf müsse abgestuft und flexibel reagiert werden. Internetsperren allerdings seien wegen ihres außerordentlichen Missbrauchspotentials dabei völlig ungeeignete Maßnahmen. Und schließlich bleibe besonders im Bereich des Schutzes für Kinder und Jugendliche ein erheblicher Anteil an Eigenverantwortung bei den Bürgern selbst und stellten sich erhebliche Anforderungen an die Medienkompetenz. Als Intendant einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt betonte Kleist abschließend, dass auch in Zukunft genügend Raum bleibe für die traditionellen audiovisuellen Medien. Diesen brächten die neuen Möglichkeiten des Internets mehr Chancen als Risiken.
In einer Podiumsdiskussion mit Dr. Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Club, und Prof. Dr. Dieter Dörr, Experte für Medien‑, Europa und Völkerrecht, wurden die von Bauer und Kleist aufgeworfenen Fragen vertieft:
Constanze Kurz und Dieter Dörr waren sich in der Auffassung einig, dass auch für das Internet Bedarf an Regulierung bestehe. Sie diskutierten im Wesentlichen über deren Ausrichtung, Reichweite und Umsetzbarkeit.
Zur Ausgangslage bemerkte Constanze Kurz, dass sich die Politik erst in den letzten Jahren netzpolitisch ertüchtigt habe. Medienpolitische Sprecher wurden etabliert, Kommissionen gebildet und Experten eingebunden. Es sei aber auch festzustellen, dass die Befassung mit Netzpolitik in dem Maße zugenommen habe, in dem wirtschaftliche Interessen betroffen waren. Entsprechend nehme auch die Lobbyarbeit großer Player zu. Die Sicht der Macher und User verliere demgegenüber zunehmend an Gewicht.
Zur Sicht der Nutzer stellte Constanze Kurz fest, dass diese sich oft hilflos und ohnmächtig gegenüber den globalen Playern fühlten und sich ihrer Macht als Konsumenten noch nicht bewusst seien. Hier müsse ein Wandel herbeigeführt werden, der allerdings lange brauchen werde. Kritik übte Frau Kurz auch am Verhalten der Medien in Fragen der Eigenverantwortung und Netzneutralität. Öffentlich-rechtliche und private Veranstalter dürften sich nicht kritiklos in die Hände der Monopolisten begeben, indem sie deren Plattformen nutzten und auf die Entwicklung eigener Angebote verzichteten. Es bestünde sonst die Gefahr, dass man auch die Hoheit über eigene Inhalte aufgebe.
In diesem Zusammenhang verwies Constanze Kurz auch auf den durch Medienunternehmen selbst ausgeübten Einfluss auf die Zugänglichkeit von Informationen. Beispielsweise entferne Google aus unterschiedlichen Gründen (u.a. wegen staatlicher Interventionen und Urheberrecht) pro Jahr weltweit 200 Millionen Sucheinträge. Es sei zwingend notwendig, dass man von Seiten der Regulierung hier für eine Offenlegung der Algorithmen sorge.
Dieter Dörr erläuterte ebenfalls am Beispiel Google die Notwendigkeit regulierender Eingriffe. Dabei müsse ein internationaler Ansatz gewählt werden, der aber nationale Ansätze nicht überflüssig mache. Als Analogie verwies er auf den Bereich des Urheberrechts. Eine wichtige Herausforderung läge in der Gewährleistung eines freien und selbstbestimmten Informationszugangs. Unter Hinweis auf Google machte er deutlich, dass hier eine in anderen Bereichen bisher nicht gekannte Marktbeherrschung vorliege, der unbedingt begegnet werden müsse. Über 90% der Nutzer bedienten sich der Suche von Google. Dabei agierten sie zumeist unkritisch, auch gegenüber hochproblematischen Auto-Complete-Funktionen. „Erhalte ich das, was ich suche oder das, was Google als wichtig erscheint?“ Dörr unterstützte im Hinblick auf die Informationsfreiheit die Forderung von Constanze Kurz nach Offenlegungspflichten. Angesichts der mehr als marktbeherrschenden Stellung und da Google auch noch selbst zum Inhalteanbieter werde, müssten Missbrauch verhindert und Transparenz gefordert werden.
Auf nationaler und europäischer Ebene müsse man auf grundlegenden Werten und Rechten beharren. „Jugendschutz, Grundrechte, Urheberrecht und Kartellrecht gelten auch im Internet. An unseren Werten müssen wir festhalten, auch wenn wir sie international nicht in vollem Umfang durchsetzen können“, so Dörr.
In ihren abschließenden Statements betonten Bauer und Kleist den Zusammenhang von Kultur und Medien. Auf nationaler aber auch auf europäischer Ebene müsse Deutschland immer wieder den gesellschaftlich-kulturellen Mehrwert von Medien betonen. Diese dürften nicht als reines Wirtschaftsgut betrachtet werden.
Eine Zusammenfassung des von Thomas Bimesdörfer moderierten Fachdialogs wird am Freitag, 3. Januar 2014, ab 19.15 Uhr in der Sendung Diskurs auf SR2 KulturRadio ausgestrahlt.
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Viola Betz
Pressesprecherin / Leiterin des Büros des Direktors