Aktuelle Mediendebatte um Information und Desinformation

PM 02/2016

Die Referenten der DesinformationsveranstaltungBer­lin, 29. Janu­ar 2016: Am 27. Janu­ar 2016 fand in der Saar­län­di­schen Lan­des­ver­tre­tung in Ber­lin eine gemein­same Ver­an­stal­tung des Grim­me Insti­tuts, der Lan­des­me­di­en­an­stalt Saar­land (LMS) und der Thü­rin­ger Lan­des­me­di­en­an­stalt (TLM) statt mit dem The­ma „Infor­ma­ti­on und Des­in­for­ma­ti­on im Inter­net“. Der Fach­dia­log befass­te sich mit den Fra­gen „Was ist Infor­ma­ti­ons­qua­li­tät im Netz? Was sagt die Pra­xis, was die Wis­sen­schaft? Wel­che Rol­le spielt die Auf­sicht?“ Eine tages­ak­tu­el­le Dimen­si­on erhielt die Ver­an­stal­tung, in der der auch der Deut­sche Pres­se­rat ver­tre­ten war, durch die in rus­si­schen Medi­en und durch den rus­si­schen Außen­mi­nis­ter ver­brei­te­ten Spe­ku­la­tio­nen um die angeb­li­che Ver­ge­wal­ti­gung eines 13-jährigen Mäd­chens in Ber­lin durch Migranten.

Der Initia­tor des Fach­ge­sprächs und Direk­tor der LMS, Dr. Gerd Bau­er, ging in sei­ner Ein­füh­rung auf die jün­ge­ren Ent­wick­lun­gen in der Online-Kommunikation ein, die die Landes­medienanstalten zunächst im Bereich der Auf­sicht beträ­fen, zum Bei­spiel in Fra­gen des Jugend­schut­zes. Dane­ben soll­ten die­se neu­en For­men von Öffent­lich­keit aber auch hin­sicht­lich ihrer gesell­schaft­li­chen Rele­vanz kri­tisch erör­tert wer­den. „Es stellt sich die Fra­ge, ob neben dem Rund­funk, dem das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt 1961 in sei­nem 1. Rund­funk­ur­teil die Funk­ti­on zuschrieb, ‚Medi­um und Fak­tor der öffent­li­chen Mei­nungs­bil­dung‘ zu sein, noch wei­te­re Medi­en­räu­me ent­stan­den sind, die die­sem Anspruch – in posi­ti­ver wie in nega­ti­ver Aus­prä­gung – genügen.“

Des­ori­en­tie­ren­de und extre­mis­ti­sche Medi­en­in­hal­te, Nut­zungs­mo­ti­ve und poten­ti­el­le Wir­kun­gen“ waren Gegen­stand eines Vor­trags von Dr. Frank Schwab, Medi­en­psy­cho­lo­ge an der Uni­ver­si­tät Würz­burg. Er prä­sen­tier­te einen Über­blick über den Stand der For­schung zu Nut­zungs­mo­ti­ven, kurz- und lang­fris­ti­gen Wir­kun­gen von Falsch­in­for­ma­tio­nen sowie sozia­len und indi­vi­du­el­len Pro­zes­sen der Radi­ka­li­sie­rung. Er beschrieb auch die Ent­ste­hung von Tei­löf­fent­lich­kei­ten und eine – auch tech­no­lo­gisch ver­stärk­te – Selek­ti­vi­tät der Medi­en­nut­zung, die zur Bil­dung geschlos­se­ner Milieus beiträgt.

In einem durch den Medi­en­jour­na­lis­ten Stef­fen Grim­berg mode­rier­ten Dia­log plä­dier­te der Direk­tor der TLM, Jochen Fas­co, für einen beson­ne­nen Umgang mit Medi­en­in­hal­ten, die gesell­schaft­lich uner­wünscht sei­en, sich aber inner­halb der Gren­zen der Meinungs- und Infor­ma­ti­ons­frei­heit beweg­ten oder außer­halb der Ein­griffs­mög­lich­kei­ten der deut­schen Medi­en­auf­sicht. Man sol­le sich nicht durch punk­tu­el­le Medien-Hypes in Aktio­nis­mus trei­ben las­sen. Wo aller­dings Ein­grif­fe not­wen­dig und mög­lich sei­en, bei­spiels­wei­se im Jugend­schutz, gesche­he dies z.B. in den Ver­fah­ren der Kom­mis­si­on für Jugend­me­di­en­schutz (KJM). „Demo­kra­tie hält eini­ges aus. Rund­funk­frei­heit erlaubt auch unan­ge­neh­me und unbe­que­me Inhal­te“, so Fas­co. Er appel­lier­te aber auch an die ethi­sche Ver­ant­wor­tung der gro­ßen pri­va­ten Medi­en in einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft. Sie müss­ten sich wahrnehm­barer am öffent­li­chen Dis­kurs beteiligen.

Aus der Erfah­rung mit dem bei der LMS ange­sie­del­ten Bür­ger­por­tal Programmbeschwer­de.de bestä­tig­te Dr. Gerd Bau­er, dass zahl­rei­che Zuschrif­ten zu poli­ti­schen Inhal­ten sich fast aus­nahms­los auf öffentlich-rechtliche Pro­gram­me bezie­hen. „Es ist offen­sicht­lich, dass auch sei­tens des Publi­kums das Infor­ma­ti­ons­an­ge­bot der pri­va­ten Fern­seh­sen­der als nicht so rele­vant betrach­tet wird. Die Pri­va­ten müs­sen im dua­len Sys­tem einen stär­ke­ren Bei­trag lie­fern, um den pro­pa­gan­dis­ti­schen Vor­wür­fen von „Sys­tem­me­di­en“ und „Lügen­pres­se“ offen­si­ver zu begegnen.“

Der Geschäfts­füh­rer des Deut­schen Pres­se­ra­tes, Lutz Till­manns, bestä­tig­te aus Sicht der Print-Medien, dass sich das gesell­schaft­li­che Kli­ma bezüg­lich der Leit­me­di­en und der Umgang mit Jour­na­lis­ten in kur­zer Zeit erheb­lich gewan­delt habe. Es sei vor weni­gen Jah­ren noch nicht vor­stell­bar gewe­sen, dass Jour­na­lis­ten bei bestimm­ten Außen­re­cher­chen geschützt oder beglei­tet wer­den müss­ten. Auch die Dis­kus­si­on um die Bericht­erstat­tung zur Delin­quenz bestimm­ter Bevöl­ke­rungs­grup­pen wer­de immer aggres­si­ver geführt, bis hin zu For­de­run­gen, was die Medi­en zu berich­tet hätten.

Dr. Frau­ke Ger­lach, Direk­to­rin des Grim­me Insti­tuts, bestä­tig­te, dass es sich bei der Glaub­wür­dig­keits­dis­kus­si­on auch um eine gesell­schaft­li­che Debat­te han­de­le. „Man muss sich die Fra­ge stel­len, was ins Rut­schen gera­ten ist, dass Des­in­for­ma­ti­on so weit Raum grei­fen kann?“ Die Qua­li­täts­me­di­en soll­ten ent­schleu­ni­gen, gründ­li­che und ruhi­ge Recher­che pfle­gen, Ein­ord­nen­des müs­se gegen­über Mei­nung und Kom­men­tar wie­der stär­ker zur Gel­tung kom­men. „Ein Gegen­gift zur Pro­pa­gan­da ist Bil­dung“, so Frau­ke Gerlach.

Lutz Till­manns stell­te fest, dass Pres­se und Rund­funk in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung zwar noch immer für Jour­na­lis­mus und sei­ne Stan­dards stün­den, jedoch ihre Deu­tungs­ho­heit ein­ge­büßt hät­ten. Auch die Pres­se befin­de sich in einem Pro­zess des Umbruchs. Vor­bild­li­che Pra­xis und gelern­tes Hand­werk sei­en gefor­dert, um sich wei­ter­hin unver­zicht­bar zu machen. Er for­de­re drin­gend von den Ver­le­gern, in die­se zukunfts­si­chern­de Kom­pe­tenz zu inves­tie­ren. „Eine Gesell­schaft ohne Qua­li­täts­me­di­en wäre eine arme Gesell­schaft“, so Tillmanns.

Einig waren sich die Dis­kus­si­ons­teil­neh­mer auch hin­sicht­lich der Not­wen­dig­keit ver­stärk­ter Maß­nah­men zur Medi­en­bil­dung. Bei­spiel­haft hier­zu stell­te Frau­ke Ger­lach das euro­päi­sche Pro­jekt „BRICkS — Against Hate Speech“ vor, das an Schu­len in Nordrhein-Westfalen durch das Grimme-Institut erfolg­reich erprobt wird.

In sei­ner Schluss­no­te bedank­te sich Dr. Gerd Bau­er für die wert­vol­len Impul­se zur Rol­le der Medi­en in der Gesell­schaft, die nun in die jewei­li­gen Insti­tu­tio­nen und ihre Gre­mi­en getra­gen wer­den müss­ten. „Auch in den neu­en Medi­en­wel­ten ist der mün­di­ge Bür­ger gefragt. Er muss sich bewusst sein, dass Frei­heit und demo­kra­ti­sche Grund­re­geln nicht selbst­ver­ständ­lich sind. Wie wir in Euro­pa sehen, kön­nen sie über Nacht beein­träch­tigt wer­den. Wir sind alle als demo­kra­ti­sche Bür­ger gefor­dert, uns in die­ser Dis­kus­si­on zu engagieren.“

 

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Vio­la Betz, Pres­se­spre­che­rin LMS
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29. Januar 2016