LMS Medienabend 2016

Meinungsfreiheit im Zeitalter der Digitalisierung

PM 18/2016

Saar­brü­cken, 06. Juli 2016: Digi­ta­li­sie­rung und Kon­ver­genz der Medi­en sowie ihre Aus­wir­kun­gen auf die demo­kra­ti­sche Gesell­schaft waren die bestim­men­den The­men beim Medi­en­abend der LMS am 4. Juli 2016 in Saarbrücken.

Der seit Mai 2016 neu im Amt befind­li­che Direk­tor der LMS, Uwe Con­radt, konn­te in der Bel Éta­ge am Deutsch-Französischen Gar­ten die Minis­ter­prä­si­den­tin des Saar­lan­des, wei­te­re Regie­rungs­mit­glie­der, Per­sön­lich­kei­ten des öffent­li­chen Lebens, aus Kul­tur und Wis­sen­schaft, Medi­en­schaf­fen­de sowie regio­na­le und über­re­gio­na­le Rund­funk­ver­an­stal­ter begrü­ßen. Die über 150 Gäs­te hat­ten sich zu einem Dia­log über aktu­el­le Medi­en­ent­wick­lun­gen ein­ge­fun­den, der durch einen Impuls der Minis­ter­prä­si­den­tin Anne­gret Kramp-Karrenbauer ein­ge­lei­tet wurde:

Sie lob­te zunächst das neue Ver­an­stal­tungs­for­mat, das es erlau­be, ernst­haf­te TMedienabend LMS mit Uwe Conradt am Montag (04.07.2016) in Saarbrücken.hemen in locke­rer Atmo­sphä­re zu erör­tern. Die Medi­en­ent­wick­lung befin­de sich in einer dyna­mi­schen Situa­ti­on, die sehr grund­sätz­li­che Fra­gen auf­wer­fe. Die­se bedürf­ten einer inten­si­ven poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Debat­te. Inno­va­tio­nen, die im Sili­con Val­ley ent­stan­den sei­en und zu glo­ba­len Struk­tu­ren der Kom­mu­ni­ka­ti­on geführt hät­ten, erfor­der­ten eine kri­ti­sche Betrach­tung. Auch sei­en die­se Ent­wick­lun­gen aus euro­päi­scher Sicht weder kopier­bar noch ohne wei­te­res auf hie­si­ge Ver­hält­nis­se anwend­bar. „Es sind zwei Grund­fra­gen zu stel­len“, so Kramp-Karrenbauer. „Neue Kom­mu­ni­ka­ti­ons­struk­tu­ren wie, z.B. Sozia­le Medi­en, brin­gen gewiss auch neue Frei­hei­ten, wie zum Bei­spiel im Ver­lauf des Ara­bi­schen Früh­lings deut­lich wur­de. Aber sol­che demo­kra­ti­schen Erwar­tun­gen an die neue Medi­en­welt könn­ten dann ent­täuscht wer­den, wenn nicht trans­pa­rent ist, wer über die Rele­vanz von Infor­ma­tio­nen ent­schei­det, wel­che Nach­richt auf Grund wel­chen Algo­rith­mus ganz oben steht. Der Algo­rith­mus darf nicht zur gehei­men alche­mis­ti­schen For­mel der Zukunft wer­den. Not­wen­dig ist eine kri­ti­sche Durch­drin­gung die­ser kom­ple­xen Mate­rie.“ Hier­bei kom­me auch den Lan­des­me­di­en­an­stal­ten eine wesent­li­che Funk­ti­on zu. Zwei­tens stel­le sich an die Poli­tik und den Gesetz­ge­ber die Fra­ge, wie Regu­lie­rung ange­sichts glo­ba­ler Struk­tu­ren künf­tig aus­ge­stal­tet wer­den kön­ne. „Klar ist, dass wir Regeln brau­chen. Denn freie Markt­wirt­schaft ist nur dann frei, wenn sie auch fair ist. Das trifft auch auf Medi­en­märk­te zu“, so Kramp-Karrenbauer.

Prof. Dr. Die­ter Dörr, Direk­tor des Main­zer Medieninstituts,Medienabend LMS mit Uwe Conradt am Montag (04.07.2016) in Saarbrücken.
griff die­se The­men in einem enga­gier­ten Vor­trag auf: „Algo­rith­men und Inter­es­sen – wer bestimmt unse­re Wahr­neh­mung?“ Medi­en­an­ge­bo­te hät­ten in den letz­ten Jah­ren revo­lu­tio­nä­re Ver­än­de­run­gen erfah­ren, sowohl durch ihre Digi­ta­li­sie­rung aber auch durch die Digi­ta­li­sie­rung ihrer Ver­brei­tungs­we­ge. Jed­we­de Inhal­te könn­ten auf ver­schie­de­nen Wegen ver­brei­tet und auf belie­bi­gen End­ge­rä­ten ver­füg­bar gemacht wer­den. Dabei hät­ten sich auch neue pri­va­ti­sier­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­sys­te­me und Ange­bots­for­men ent­wi­ckelt, die Trenn­li­ni­en zwi­schen dem Inhal­te­be­reich und den Übertragungs­systemen sei­en unschär­fer gewor­den. „Die Unter­schie­de zwi­schen klas­si­schem Rund­funk und Online-Angeboten sind bei wei­tem nicht mehr so aus­ge­prägt wie frü­her. Bei vie­len Abruf­an­ge­bo­ten besteht, abge­se­hen von der Linea­ri­tät, inhalt­lich über­haupt kein Unter­schied mehr.“ Grund­sätz­lich müss­te die neue Fül­le der Infor­ma­tio­nen die Mei­nungs­frei­heit und Mei­nungs­bil­dung in einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft beför­dern. Die mas­sen­haf­te Ver­brei­tung mei­nungs­re­le­van­ter Inhal­te sei aber auch gleich­be­deu­tend mit einem Ver­lust an Über­sicht­lich­keit. „In die­ser Situa­ti­on gewin­nen sog. Infor­ma­ti­ons­ver­mitt­ler oder ‚Inter­me­diä­re‘ zuneh­mend an Bedeu­tung“, so Dörr. Die­se Infor­ma­ti­ons­ver­mitt­lung wer­de aber von mäch­ti­gen Play­ern domi­niert. So lie­fen über 95% der Such­an­fra­gen über Goog­le. „Inter­me­diä­re und Sozia­le Netz­wer­ke wer­den selbst zu Inhal­te­an­bie­tern. Ver­tre­ter die­ser Mega-Player äußern ganz offen, dass sie ‚die Welt zu einem bes­se­ren Ort machen‘ wol­len. Die Kri­te­ri­en hier­für defi­nie­ren sie aber selbst, eini­ge spre­chen ganz offen von einer ‚post­de­mo­kra­ti­schen Gesell­schaft‘.“ Die Kri­te­ri­en, nach denen zum Teil selbst­ler­nen­de Algo­rith­men die Rele­vanz von Nach­rich­ten bestimm­ten, sei­en völ­lig einer öffent­li­chen Debat­te ent­zo­gen. Durch zusätz­li­che Per­so­na­li­sie­rung von Such­ergeb­nis­sen kom­me es zudem zu einer Blasen- und Fil­ter­bil­dung, die zu geschlos­se­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­grup­pen statt zu Offen­heit und Viel­falt füh­re. Hier sei Regu­lie­rung gefragt. „Daher gilt es, bereits auf euro­päi­scher Ebe­ne die Anbie­ter einer Such­ma­schi­ne zu ver­pflich­ten, die Aus­wahl und Lis­tung der Ange­bo­te dis­kri­mi­nie­rungs­frei vor­zu­neh­men. Dies kann etwa im Rah­men einer geän­der­ten AVMD-Richtlinie gesche­hen. Die natio­na­len medi­en­recht­li­chen Rege­lun­gen soll­ten an eine Offen­le­gung zumin­dest von Tei­len des Such­al­go­rith­mus, bei­spiels­wei­se im Rah­men eines „In-camera“-Verfahrens, den­ken.“ In einem drin­gen­den Appell an die Poli­tik for­der­te Dörr, ihrer Auf­ga­be zur Viel­falts­si­che­rung nach­zu­kom­men. „Das Viel­falts­si­che­rungs­recht des Rund­funk­staats­ver­trags hat ver­sagt! Die Inter­me­diä­re müs­sen unbe­dingt ein­be­zo­gen wer­den. Algo­rith­men müs­sen offen gelegt wer­den, wenn Anlass zum Ver­dacht einer Mani­pu­la­ti­on besteht.“ Näh­men die Län­der die­se Kom­pe­ten­zen nicht wahr, wür­den sie sie ver­lie­ren, kon­sta­tier­te Dörr.

Medienabend LMS mit Uwe Conradt am Montag (04.07.2016) in Saarbrücken.Prof. Dr. Ste­phan Ory, Vor­sit­zen­der des Medi­en­ra­tes der LMS, wid­me­te sich eben­falls Regu­lie­rungs­fra­gen in einem Kurz­vor­trag zum The­ma „Immer noch alles Rund­funk? Viel­falts­si­che­rung in frag­men­tier­ten Märk­ten“. Er stell­te zunächst für regio­na­le Anbie­ter wie etwa den Hör­funk fest, dass die­se Unter­neh­men sich nach wie vor weit über­wie­gend aus Erlö­sen aus dem klas­si­schen Bereich finan­zier­ten. Sowohl Fern­se­hen als auch Radio wie­sen wei­ter­hin hohe Nut­zungs­zah­len aus. Das müs­se und wer­de nicht so blei­ben, wobei offen sei, wie schnell sich ein Wan­del voll­zie­he und sich hin­sicht­lich der Viel­falt und des journalistisch-redaktionellen Ange­bots aus­wir­ke. „Die Poli­tik hat hier die Auf­ga­be einen Ord­nungs­rah­men zu schaf­fen, der künf­tig auch klei­nen und mitt­le­ren Unter­neh­men einen Markt­zu­tritt erlaubt“, so Ory. Er skiz­zier­te meh­re­re Stell­schrau­ben, die der Regu­lie­rung zur Ver­fü­gung stün­den: So könn­ten eini­ge Anfor­de­run­gen auch auf nicht­li­nea­re Ange­bo­te ange­wen­det wer­den, z.B. Vor­ga­ben für euro­päi­sche Pro­duk­tio­nen in Video-Abrufdiensten. Das Äuße­rungs­recht müs­se aus­ge­stal­tet wer­den. Nut­zer und Anbie­ter, die öffent­lich mei­nungs­bil­dend tätig sei­en, kön­nen mehr in die Ver­ant­wor­tung genom­men wer­den. Das Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­recht habe im Inter­es­se klei­ne­rer oder neu­er Anbie­ter für Inter­ope­ra­bi­li­tät der Sys­te­me zu sor­gen. Kar­tell­recht, Urhe­ber­recht und Ver­brau­cher­schutz sei­en eben­falls zu berück­sich­ti­gen. „Alle die­se Stell­schrau­ben bil­den ein kom­ple­xes Räder­werk, das regel­mä­ßi­ger Anpas­sung und Über­prü­fung bedarf. Die Poli­tik scheint gera­de erst dabei zu sein, die­ses Sys­tem zu ver­ste­hen. Der Medi­en­rat der LMS ver­sucht zusam­men mit den ande­ren Medi­en­an­stal­ten in die­sem Pro­zess Hin­weis­ge­ber zu sein, rich­tungs­wei­sen­de Fra­gen zu stel­len und Ant­wor­ten mit unter­schied­li­chen Gesprächs­part­nern zu suchen. Er hat dabei immer auch die Viel­falt des regio­na­len Mark­tes und die Zugangs­chan­cen der regio­na­len Anbie­ter im Blick“, so Ory.

Uwe Con­radt, Direk­tor der gast­ge­ben­den LMS,Medienabend LMS mit Uwe Conradt am Montag (04.07.2016) in Saarbrücken.
fass­te ange­sichts der vor­he­ri­gen State­ments eini­ge grund­sätz­li­che und demo­kra­tie­po­li­ti­sche Aspek­te aus Sicht einer Medi­en­an­stalt zusam­men: Der fun­da­men­ta­le Wan­del der letz­ten Jah­re wer­de auch dar­in sicht­bar, dass die drei welt­weit mäch­tigs­ten Unter­neh­men alle im Medi­en­be­reich tätig sei­en. Die Medi­en­re­gu­lie­rung dür­fe ange­sichts des­sen weder nur wei­ße Sal­be ver­tei­len noch eine wei­ße Fah­ne his­sen. Viel­mehr sei eine „Regu­lie­rung zur Frei­heit“ gefor­dert. Frei­heit des Zugangs sei eben­so zu gewähr­leis­ten wie Frei­heit vor Mani­pu­la­ti­on. Einer völ­li­gen Dere­gu­lie­rung des Mark­tes, die von eini­gen Unter­neh­mens­ver­tre­tern gefor­dert wird, müs­se im Inter­es­se des demo­kra­ti­schen Gemein­we­sens ent­ge­gen­ge­tre­ten wer­den. „Es ist offen­sicht­lich, dass das Inter­net eben­so wie der Rund­funk eine zen­tra­le Rol­le bei der Infor­ma­ti­ons­ver­mitt­lung und Mei­nungs­bil­dung ein­nimmt. Ent­spre­chend gilt auch die Fest­stel­lung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, dass die Frei­heit der Medi­en eine die­nen­de Frei­heit ist und die Funk­ti­on der unge­hin­der­ten frei­en Mei­nungs­bil­dung erfül­len muss. In unse­rem Ver­ständ­nis besteht eine Gewähr­leis­tungs­pflicht des Staa­tes, Gefähr­dun­gen der Meinungs- und Infor­ma­ti­ons­frei­heit auch prä­ven­tiv zu ver­hin­dern. Schon das Poten­ti­al zu Mani­pu­la­ti­on recht­fer­tigt regu­la­to­ri­sche Ein­grif­fe.“ Der Dis­kus­si­ons­pro­zess zu die­sem Ord­nungs­rah­men müs­se mit den gesell­schaft­lich rele­van­ten Grup­pen, der Wis­sen­schaft und der Öffent­lich­keit geführt wer­den. Ziel sei dabei, die Medi­en­frei­heit zu erhal­ten und zu för­dern. „Hier­bei kön­nen die Lan­des­me­di­en­an­stal­ten einen gro­ßen Bei­trag leis­ten“, so Conradt.

Mit Dank an die Minis­ter­prä­si­den­tin und die Vor­red­ner für die inhalt­li­chen Impul­se sowie Klaus Dittrich für die Mode­ra­ti­on lud Con­radt die Gäs­te zu einem wei­te­ren ange­reg­ten Som­mer­abend ein.

Kon­takt für Presseanfragen:
Vio­la Betz
Pres­se­spre­che­rin / Lei­te­rin des Büros des Direktors

Fotos LMS © Jen­ni­fer Weyland:
Uwe Con­radt, Prof. Dr. Die­ter Dörr, Prof. Dr. Ste­phan Ory
Anne­gret Kramp-Karrenbauer MdL
Prof. Dr. Die­ter Dörr
Prof. Dr. Ste­phan Ory
Uwe Conradt

6. Juli 2016