PM 27/2016
Saarbrücken, 04. November 2016: Zahlreiche Fachkräfte aus dem Bereich der Kinder- und Jugendarbeit sowie Beschäftigte sozialer Einrichtungen konnte die LMS am 2. November 2016 zu einer Fachtagung in Saarbrücken begrüßen. In Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für präventives Handeln und der Suchtberatung des Regionalverbandes Saarbrücken wurden Fragen des Jugendschutzes, des sinnvollen medienpädagogischen Einsatzes aber auch Gefahren des exzessiven Gebrauchs von Computerspielen behandelt.
Der Direktor der LMS, Uwe Conradt umriss in seinem Grußwort die Aufgaben der Medienanstalten im Hinblick auf Online-Angebote, die Rolle der Selbstkontrollen und Fragen des technischen Jugendmedienschutzes. Für die Medienaufsicht relevant seien dabei mögliche Entwicklungsbeeinträchtigungen und Entwicklungsgefährdungen in drei zentralen Wirkungsbereichen: Gewalt, Sexualität sowie Eigenverantwortung und Gemeinschaftsfähigkeit. An langjähriger und intensiver Erfahrung bei der Beurteilung von Wirkungsrisiken mangele es den Medienanstalten nicht.
Hinsichtlich des Regulierungsrahmens aber hielten Ordnungspolitik und Gesetzgebung nicht Schritt mit den rasanten Entwicklungen von Technik, Markt und konvergenten Inhalten. „Soziale Kontrolle ist wichtiger als der technische Jugendmedienschutz. So lange Jugendschutzprogramme nicht nur nicht hinreichend verbreitet und technisch für alle Endgeräte tauglich sind, warne ich eindringlich davor, ein rechtliches oder gar technisches ‚Rundum-Sorglos-Paket‘ zu erwarten. Ich halte die reale Schutzwirkung dieser Software für verschwindend gering in Bezug auf Kinder und Jugendliche.“ Dennoch weise der Gesetzgeber seit 2003 im Wesentlichen nur diesen Weg zu mehr Jugendschutz auf und es müsse versucht werden, das Beste daraus zu machen. Mit der Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) 2016 komme dabei den Freiwilligen Selbstkontrollen eine besondere Verantwortung zu. Die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten (KJM) müsse diesen Prozess konstruktiv aber auch kritisch begleiten, im Interesse eines ausgewogenen Verhältnisses von Freiheits- und Schutzrechten. „Im präventiven Bereich können die Medienanstalten einzeln und in Kooperationen Medienkompetenz vermitteln, Aufklärung leisten und Fortbildungen wie diese organisieren. Es gilt darüber hinaus, die Relevanz des Jugendschutzes in der Gesellschaft zu betonen. Gesetzlicher Rahmen, Kontrolle durch die Aufsicht und Maßnahmen der Medienbildung müssen sich ergänzen.“
„Der Spielemarkt, Verbreitungswege und Trends der Nutzung“ waren Gegenstand einer Präsentation des Fachjournalisten Jürgen Kroder aus Mainz. Der Experte mit eigener Entwicklungserfahrung belegte anschaulich, wie sich in den letzten Jahren das Bild des ‚typischen‘ Gamers gewandelt hat. „Spiele sind keine Angelegenheit mehr von Nerds, sie werden mittlerweile in allen Altersgruppen und Milieus gespielt, sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Kroder informierte über Genres und Verbreitungsstrukturen aber auch Erlösmodelle eines Marktes, der immer stärker onlinebasiert ist. Nach aktuellen Schätzungen verfüge Deutschland mit einer Umsatzgröße von 2,8 Milliarden € über den fünftgrößten Spielemarkt weltweit. Der Spielemarkt sei dabei, dem Filmmarkt den Rang abzulaufen.
Problematische Entwicklungen zeigte Kroder hinsichtlich bestimmter Spieleinhalte auf, die z.B. propagandistischen Zwecken dienen könnten. Aber auch die Wege der Monetarisierung von Spielen wurden näher beleuchtet. Zunächst im Vertrieb kostenfrei angebotene Spiele entwickelten sich teilweise durch kostenpflichtige Zusatzangebote zu den größten Umsatzbringern. Dabei würden auch Abhängigkeiten genutzt und in der Branche als „Wale“ bezeichnete heavy User zu hohen Ausgaben veranlasst. Das betreffe zwar nur ca. 1% der Gamer, sei aber angesichts von insgesamt 41,5 Millionen Spielenutzern eine wesentliche Erlösquelle.
Angesichts dieser Entwicklungen sei es dringend geboten, die Spielewelt als neuen Kultur- und Wirtschaftssektor zu würdigen aber auch durch Medienbildung Aufklärung zu leisten und Problembewusstsein zu schaffen, so Kroder.
„Medienpädagogische Aspekte der Spielenutzung“ stellte Vanessa Waller in ihrem Vortrag vor, sehr anschaulich auch anhand von Beispielen aus ihrer eigenen Computerspiel-Vita. Die Sozialpädagogin und aktive Spielerin berichtete aus ihrer Erfahrung mit medienpädagogische Maßnahmen im Auftrag der LMS, u.a. bei Elternabenden, Multiplikatorenschulungen und Unterrichtsprojekten. Ausgewählte Spielgenres mit Beispielen wurden präsentiert, Spieler-Typologien erläutert, der Umgang mit Spielen in der Familie, Evaluationskriterien für pädagogisch wertvolle Spiele, positive und negative Auswirkungen von Computerspielen auf Kinder und Jugendliche erörtert.
Beim Umgang mit Spiele-Medien in der Familie gelte es, eine Balance von Kontrolle und Vertrauen zu finden. In der pädagogischen Arbeit sei eine souveräne Nutzung der Spielewelt zu fördern unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und Entwicklungsstand der Spielenden. „Spiele bergen zwar eine Reihe von Risiken, z.B. bei der Konfrontation mit gewaltgeprägten oder sexualisierten Inhalten oder im Bereich des Datenschutzes. Sie können aber auch Kompetenzen wie Teamfähigkeit, strategisches Denken und Erlebnisfähigkeit stärken und zu einer guten Entwicklung der Persönlichkeit und einem gelingenden Heranwachsen beitragen“, so Waller.
„Verloren in virtuellen Welten: Erscheinungsbild, Diagnostik und therapeutische Ansätze bei pathologischem PC-/Internet-Gebrauch“ war der Titel des Vortrags von Holger Feindel. Der Psychotherapeut und Oberarzt der in diesem Bereich deutschlandweit führenden AHG Klinik Münchwies gab einen Überblick über die Krankheitsbilder, erläuterte diagnostische Fragen und therapeutische Herangehensweisen.
Zur Dimension der Problematik führte Feindel aus, dass in Deutschland von mehr als 500.000 Betroffenen auszugehen sei, deren exzessives Gaming, Chatting oder Surfing gesundheitliche und soziale Schäden nach sich ziehe. Das Krankheitsbild „Internet Gaming Disorder“ sei dann zu befürchten, wenn mehr als 4,5 Stunden am Tag oder mehr als 30 Stunden in der Woche gespielt würde. In der Reha sei das Verhältnis von Männern zu Frauen derzeit 9:1, das Durchschnittsalter betrage 28 Jahre mit sinkender Tendenz. Neben dieser Gruppe, bei der eine Behandlungsindikation wegen eines pathologischen PC-/Internet-Gebrauchs bestehe, sei von weiteren 2,5 Millionen Personen auszugehen, die sich in einem problematischen Bereich bewegten mit Schwerpunkt bei den 18 – 24jährigen.
„Bei den pathologischen Spielern am häufigsten vertreten sind Online-Rollenspiele (Massively Multiplayer Online Role-Playing Games, MMORPGs) mit persistierender Spielumgebung. Wichtige Anreize für exzessives Spielen sind intermittierende Belohnung und Anerkennung, Empfinden von Unsterblichkeit, Flow-Erfahrungen und vermeintlich bessere Kontrolle als im realen Leben. Die Betroffenen erfahren einen erheblichen Leidensdruck, wenn ihr Spielverhalten nicht mehr in den Alltag zu integrieren ist, Beziehungen, Schule oder Beruf leiden und indem soziale Ängste und Depressionen auftreten. Auch körperliche Folgen von Fehlernährung sowie Störungen des Bewegungsapparats sind zu verzeichnen.“ Im Unterschied zu Gamern mit souveränem Spielverhalten gelinge diesem Personenkreis keine positive Transferleistung aus der virtuellen in die reale Welt. Dies könne zu Beziehungs- und Verhaltensstörungen und teilweisem Verlust von Impulskontrolle führen. Wie weit die Entfremdung gehen kann, verdeutlichte Feindel mit den Worten eines Patienten nach einem sonnigen Waldspaziergang: „Scheißgeile Grafik dieses Real Life!“
Kontakt für Presseanfragen:
Viola Betz
Pressesprecherin / Leiterin des Büros des Direktor