Zum Tag des Grundgesetzes 2017: Meinungsfreiheit im Fokus der offenen Gesellschaft

Von Uwe Conradt, Direktor der Landesmedienanstalt Saarland

Heu­te ist der Geburts­tag der Bun­des­re­pu­blik Deutschland.

Heu­te vor acht­und­sech­zig Jah­ren, am 23. Mai 1949, wur­de durch den Prä­si­den­ten des Par­la­men­ta­ri­schen Rats das Grund­ge­setz für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ver­kün­det. Das Saar­land kam am 1. Janu­ar 1957, die Län­der auf dem Gebiet der DDR am 3. Okto­ber 1990 hin­zu. Alle gemein­sam bil­den sie das ver­ei­nig­te Deutsch­land. Seit acht­und­sech­zig Jah­ren ist die Bun­des­re­pu­blik eine leben­di­ge, frei­heit­li­che, rechts­staat­li­che reprä­sen­ta­ti­ve Demokratie.

Die­ser Tag ist nicht nur ein Tag der Freu­de und Dank­bar­keit, er ist auch Anlass zu fra­gen, wie es um die im Grund­ge­setz nor­mier­te objek­ti­ve Wer­te­ord­nung steht. Er mahnt uns an den Auf­trag, die Wer­te, die Frei­heit, die Demo­kra­tie und die Rechts­staat­lich­keit zu ver­tei­di­gen. Geschich­te läuft nicht nach Gesetz­mä­ßig­kei­ten ab, wes­halb die Fra­ge, ob wir auch in Zukunft den vor­ge­se­he­nen Rah­men von Frei­heit und Recht des Grund­ge­set­zes aus­le­ben kön­nen, davon abhängt, ob der Staat und auch die Gesell­schaft bereit ist, sich für die frei­heit­lich demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung einzusetzen.
Der Ein­satz erfor­dert die stän­di­ge geis­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung, den Kampf der Mei­nun­gen — das Lebens­ele­ment der Demokratie.

Dies ist der Grund, wes­halb das Grund­recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung von zen­tra­ler Bedeu­tung oder, wie es Ver­fas­sungs­recht­ler sagen, schlecht­hin kon­sti­tu­ie­rend für die freiheitlich-demokratische Grund­ord­nung ist. Es ist einer­seits Abwehr­recht des Bür­gers gegen den Staat und zum ande­ren der unmit­tel­bars­te Aus­druck der mensch­li­chen Per­sön­lich­keit in der Gesell­schaft und somit eines der vor­nehms­ten Men­schen­rech­te über­haupt. Für den Phi­lo­so­phen Karl Pop­per hing der Wert eines Dia­lo­ges „vor allem von der Viel­falt der kon­kur­rie­ren­den Mei­nun­gen ab“. Tole­ranz soll­te uns die ande­re Mei­nung als Ange­bot und Anre­gung wahr­neh­men las­sen. Dies ist die Grund­la­ge der Wer­te­ord­nung des Grund­ge­set­zes, die Wer­te­ord­nung einer offe­nen Gesell­schaft; einer Gesell­schaft, in der die Frei­heit des Indi­vi­du­ums geschützt ist und der Staat durch sie gebun­den ist und er ver­pflich­tet ist, sie zu schützen.

Wie steht es um die Frei­heit der Mei­nung und die Frei­heit der Medi­en in unse­rem Land?

Die stän­di­ge Recht­spre­chung des Ver­fas­sungs­ge­richts sieht vor, dass Medi­en vor staat­li­cher Beherr­schung und Ein­fluss­nah­me geschützt werden.

Wie ist dies noch mög­lich in einer Zeit, in der die tech­ni­sche Ent­wick­lung zu einer Ver­schmel­zung von Individual- und Mas­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on führt? Wo ver­läuft die Gren­ze von zuläs­si­ger staat­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on und dem Ein­griff in die Funk­ti­on der Medi­en im Zeit­al­ter der direk­ten Kom­mu­ni­ka­ti­on, der PR über sozia­le Medi­en und ande­re digi­ta­le Kanäle?

Wo endet der Auf­trag des aus staat­li­chen Mit­teln finan­zier­ten Aus­lands­rund­funks Deut­sche Wel­le, der sei­ne Ange­bo­te zuneh­mend im Inland ver­brei­tet? Wie sehr darf die­ses bun­des­ei­ge­ne Ange­bot finan­zi­ell und pro­gram­ma­tisch gestärkt wer­den, ohne die engen Gren­zen der Staats­fer­ne des Rund­funks zu verletzen?

Ange­sichts des vor­lie­gen­den Ent­wurfs des Netz­werks­durch­set­zungs­ge­set­zes stellt sich die Fra­ge, ob es nicht auch in unse­rer Grund­ord­nung vor­ge­se­hen ist, die Ver­brei­tung einer Mei­nung, die pole­misch und über­spitzt for­mu­liert wur­de, auf sozia­len Netz­wer­ken zu schüt­zen, wenn es der Schutz der Mei­nung bedarf. Ist es vor die­sem Hin­ter­grund zuläs­sig, dass auch bei gesell­schaft­lich rele­van­ten Mas­sen­an­ge­bo­ten allein der Anbie­ter zum Rich­ter über die Zuläs­sig­keit von Mei­nun­gen erho­ben wird?
Haben hohe Straf­an­dro­hun­gen gegen­über Anbie­tern von gesell­schaft­lich rele­van­ten Platt­for­men Aus­wir­kun­gen auf die posi­ti­ve Ord­nung, wel­che sicher­stel­len soll, dass die Viel­falt der bestehen­den Mei­nun­gen in best­mög­li­cher Brei­te und Voll­stän­dig­keit Aus­druck fin­det und auf die­se Wei­se umfas­sen­de Infor­ma­ti­on gebo­ten wird?

Wie kön­nen wir einen sach­li­chen Dia­log anmah­nen oder auch mit Löschun­gen und Sper­run­gen gegen Hass­re­de (hate speech) vor­ge­hen, ohne die enge Fas­sung von Schmäh­kri­tik, die das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt defi­niert, auf­zu­wei­ten, denn auch dies wür­de unse­re Mei­nungs­frei­heit letzt­lich beschränken?

Wie gehen wir mit den Anhän­gern tota­li­tä­rer Struk­tu­ren, den Fein­den der offe­nen Gesell­schaft um? Dabei ist es zum Teil nicht ein­fach, die­se zu erken­nen, kön­nen doch auch mora­lisch moti­vier­te und beson­ders wohl­mei­nen­de Men­schen auf den fal­schen Weg geführt und ver­führt werden.
Kann ein Kli­ma ent­ste­hen, in dem nur der Kon­sens und eine genorm­te Spra­che akzep­tiert wer­den und Anders­den­ken­de aus dem demo­kra­ti­schen Dis­kurs aus­ge­schlos­sen wer­den? Dies wäre die Rück­kehr in die selbst­ver­schul­de­te Unmün­dig­keit — in eine vor­auf­klä­re­ri­sche Gesell­schaft. Eine Domi­nanz der into­le­ran­ten Eife­rer, die die Welt nach ihrer Gedan­ken­welt umfor­men wol­len, gilt es wirk­sam zu verhindern.

Des­we­gen müs­sen wir im Namen der Tole­ranz das Recht bean­spru­chen, Into­le­ranz ent­ge­gen­zu­tre­ten. Tole­ranz fin­det ihre Gren­zen im Schutz der Men­schen­wür­de, im Ver­bot von Straf­ta­ten, ins­be­son­de­re auch von Volks­ver­het­zung oder, all­ge­mein gespro­chen, im Ver­bot der Ver­brei­tung von jugend­ge­fähr­den­den Medien.

Die Bekämp­fung von Fake News, Hass und Het­ze ver­langt die Ver­ein­heit­li­chung der Auf­sicht über Tele­me­di­en und die Schaf­fung eines Aus­kunfts­an­spruchs gegen­über Platt­form­an­bie­tern, aber die Gesell­schaft wird auch Ord­nungs­maß­nah­men nur dann als pro­ba­tes Mit­tel akzep­tie­ren, wenn das Zen­sur­ver­bot geach­tet bleibt. Löschun­gen und Sper­run­gen kön­nen Dis­kurs­kom­pe­tenz nicht erset­zen, Dis­kurs­kom­pe­tenz aber auch nicht not­wen­di­ge Regulierungsmaßnahmen.

Wir brau­chen mehr Medi­en­kom­pe­tenz und auch neue Initia­ti­ven gegen Hass und Het­ze. Die­se soll­ten aber mehr ver­fas­sungs­recht­li­ches Rüst­zeug mit­brin­gen als den Hash­tag #NOHATE.

Höf­lich­keit und Respekt im Umgang mit­ein­an­der sind unab­ding­bar für eine offe­ne, libe­ra­le Gesell­schaft. Die Chan­cen des Inter­nets nut­zen, bedeu­tet aber auch Gesprächs­part­nern frei­es Den­ken und Spre­chen zu ermög­li­chen, auch wenn wir es manch­mal als Zumu­tung ansehen.

Der Mut zur Gegen­re­de soll­te getra­gen sein von Sach­lich­keit und der Argu­men­ta­ti­on in der Sache und auch die Auf­for­de­rung Imma­nu­el Kants beinhal­ten: „Habe Mut, dich dei­nes eige­nen Ver­stan­des zu bedie­nen!” Inso­fern ist das Grund­ge­setz als Wäch­ter von Mei­nungs­viel­falt und Mei­nungs­frei­heit eine Wer­te­ord­nung, aber kein Tugend­wäch­ter; viel­mehr ist es auch Wäch­ter über die – meist selbst­er­nann­ten — Tugendwächter.

In die­sem Sinne:
Hoch lebe das Grund­ge­setz – herz­li­chen Glück­wunsch Bun­des­re­pu­blik Deutschland.

 

Fol­gen Sie uns auch auf Twit­ter: @medien_impulse und #Tag­des­Grund­ge­set­zes #Ver­fas­sungs­tag #Mei­nungs­frei­heit #Staats­fer­ne #PR #Zen­sur­ver­bot #NetzDG #Hate­Speech #Schmäh­kri­tik #Tugend­wäch­ter #GGist­su­per

23. Mai 2017